Meine persönliche Religionsgeschichte:
Katholisch getauft und aufgewachsen bin ich in einer konservativen Kleinstadt mit einer großen überwiegend katholischen Gemeinde.
Sehr gern erinnere ich mich an die Geschichten, die meine Mutter meiner Schwester und mir aus einer Kinderbibel vorlas, besonders von Abraham, Josef und David. Am sonntäglichen Gottesdienst, dem Religionsunterricht, den Stunden zur Vorbereitung auf Erst-Kommunion und Firmung nahm ich freudig teil, weil Religion mir immer schon wichtig war.
In meiner Familie war Freiheit in Glaubensdingen selbstverständlich:
Mein Vater war bis ca. 1982 evangelisch, besuchte trotzdem gemeinsam mit uns den katholischen Gottesdienst und konvertierte dann der Einfachheit halber zum Katholizismus. Meine katholisch getaufte Cousine konvertierte zum evangelischen Glauben, da sie ein Ordinat anstrebte. (Sie ist heute von ganzem Herzen Pastorin.) Meine Mutter blieb zwar bis heute katholisch, sieht viele Dogmen der Kirche jedoch kritisch. In der 12.Klasse wählte ich aus Interesse an der Ökumene evangelischen Religionsunterricht.
Philosophie gefiel mir schon immer, nicht nur als Schulfach.
Einmal versuchte ich eine Woche lang, nicht an Gott zuglauben, doch es hat nicht funktioniert: Beim Anblick einer zum Himmel aufschwirrenden Lerche konnte ich nicht anders, als an einen Gott, der alles mit Liebe erschaffen hat, zu glauben und Ihm von Herzen dafür zu danken.
1989-1990 las ich die gesamte Bibel, suchte nach Jesus .
(Niemals hätte ich erwartet, dass diese Suche sich bei den Muslimen erfüllen würde.)
1990 Umzug nach Berlin, erste Gespräche mit Muslimen in einem Studentenwohnheim. Als ich den muslimischen Bekannten begeistert vom Christentum erzählte, erfuhr ich, dass Muslime z.B. ebenfalls glauben, dass Jesus am jüngsten Tag auf die Erde wiederkehren wird und dass der Islam sich überhaupt viel weniger vom Christentum unterscheidet, als ich dies jemals erwartet hätte.
1991 (Oktober) Reise nach Palästina, Kontakt mit einem sehr direkten Islam im Gazastreifen, ebenso mit Christen in der Diaspora in Nord-Palästina und Juden, in den von ihnen (als ursprünglich) beanspruchten Gebieten Israels
1992 ( Februar) Glaubensbekenntnis zum Islam: Schon immer glaubte ich nur an einen, allmächtigen Gott. Die Geschichten aus der Kinderbibel prägten wahrscheinlich eine eher alttestamentarische Vorstellung von Gott in mir. Da ich bis zu meinem sechsten Lebensjahr kaum am Gemeindeleben teilnahm, hatte sich dieses Bild so gefestigt, dass der Katholizismus meiner Schulzeit mich eher in Verwirrung stürzte. Besonders die Gottessohnschaft Jesu und sein Opfertod machten mir seelisch zu schaffen.
Es erleichterte mich unendlich, mich zu dem einen Gott und zum Propheten Mohammed als Gesandten Gottes zu bekennen. Denn als Muslima war es mir möglich, Jesus als Gesandten und Propheten zu sehen und ihm mit diesem Verständnis endlich von ganzem Herzen nachzufolgen.
Die Vorstellung, Vergebung meiner Sünden durch direktes Gebet zu Gott, ohne Vermittlung von Heiligen oder Priestern zu erlangen, befreite mein Herz und ich merkte, dass ich im Islam einen Weg gefunden hatte, ganz zu mir selbst zu finden.
Verstand und Gefühl waren endlich in Einklang gebracht.
Dies ist der Weg, für den ich mich entschieden habe, was nicht bedeuten soll, dass ich damit die Wege Andersgläubiger geringer schätze.
Vom Christentum trennen mich wenige Punkte, vom Judentum nur, dass ich Jesus als Messias anerkenne, Maria als dessen jungfräuliche Mutter ehre und ich nicht gern streite oder mich autorisiert fühle, mit Gott zu hadern.
Gar nicht an Gott zu glauben oder sich keiner Religion zuzurechnen ist heutzutage wahrscheinlich die gängigste Lebensform. Mich wundert, wie man das aushalten kann, respektiere es aber einfach.
Im Jahr 1992 lernte ich Familie Amer kennen und schätzen.
Bei Mohammed Amer ging ich viele Jahre lang Sonntags zum Unterricht, wo ich mich in einer lockeren Gruppe von Frauen weiterbildete. Ich schätze Mohammed Amer als Koranexperten und Mensch, der mit einer überaus geduldigen, beruhigenden Wesensart Fragen des täglichen Lebens zu Glaubensangelegenheiten aus der Sicht mehrerer Rechtsschulen zu beleuchten und beantworten vermag. Seine Auffassung Frauen gegenüber betrachte ich als fortschrittlich gegenüber z. B. vielen Männern in den sogenannten islamischen Staaten. Dennoch entspricht sie sicher der ursprünglich vom Propheten Mohammed vertretenen Haltung. Mohammed Amer machte mir als gleichberechtigungsorientierte Frau auf diese Weise den Einstieg in den Islam leicht.
Seine wunderbare Frau Sakina ist mit ihrem starken Charakter in vielen Glaubensdingen ein Vorbild für mich. So wurde sie nach unserem ersten Treffen im Frühjahr, in dem ich mich durch die Klärung letzter Ungewissheiten endlich deutlich zum Islam bekennen konnte, sozusagen meine geistige Mutter.
Zu Ostern bekannte ich meiner Familie, dass ich konvertiert war.
Einen Monat später stellte ich meinen jetzigen Mann Omar vor, den ich durch das Fasten im Ramadan in einer Studentengruppe kennen gelernt hatte und erbat das Einverständnis meiner Eltern zur Heirat mit ihm. Sein Wissen, sein Können bei der Koran-Rezitationen und seine angenehme Art zeigten ihn mir als besten Muslim, den ich finden konnte . Die positive Einstellung meines Lehrers zu ihm war mir wichtig. Auch von anderen Quellen, bei denen ich mich umhörte, erfuhr ich nur Gutes über ihn.
Schließlich wollte ich mich nicht meiner Staatsbürgerschaft wegen heiraten lassen. Wir tauschten uns eingehend über unsere Bedingungen für ein gemeinsames Leben , unsere Vorlieben, Erwartungen und Ticks aus. Dabei redeten wir zwar offen und ehrlich über körperliche Liebe, vorehelichen Kontakt miteinander, auch Händchen-halten schlossen wir aus. Für mich war dies eine völlig neue Art, eine Beziehung zu beginnen, doch ich habe es nicht bereut. Meine Eltern waren mit der Heirat einverstanden, mein Lehrer Mohammed Amer war bereit, mich als muslimischer Rechtsbeistand an Vaters statt zu vertreten und die Trauung vorzunehmen.
Pfingstmontag 1992 heirateten wir nach muslimischen Ritus.
Da ich unerwartet schnell schwanger wurde, heirateten wir am 12.10. des selben Jahres standesamtlich, damit unser beider Elternschaft vor dem deutschen Gesetz galt. Die gute Absicht, mit dieser Partnerschaft unsere Religion ständig zu vervollkommnen, gibt uns immer noch neue positive Impulse.
Vom Tag meines Glaubensbekenntnisses an, versuchte ich zu lernen, ebenso zu hinterfragen. Praktizierter Islam ist nicht immer einfach mit den Gewohnheiten der (nicht-muslimischen) deutschen Gesellschaft zuvereinbaren. Kaum jemand kennt die Bedürfnisse praktizierender Muslime, wie z.B. Speise- und Kleidungsvorschriften. Die Einhaltung der Gebets- und Fastenzeiten stellt eine Herausforderung dar. Der Islam ist für mich eine Religion, die den natürlichen Menschenverstand fordert. Die völlige Ergebenheit in Gott bedeutet für mich keinesfalls das Gehirn auszuschalten. Mag die Einhaltung der nach außenhin streng wirkenden Sunna- Regeln noch so befremdlich erscheinen, mir ermöglichen sie die Einheit von Seele und Geist, Kopf und Bauch, die mir ehemalsin der Geburtsreligion nicht gelingen wollte.
Einige empfohlene Glaubens-Dinge probierte ich einfach vorbehaltlos aus. Z.B. das Kopftuch. Es täglich zu tragen überlegte ich mir sehr lange. Erst als ich begann, es zu tragen, erkannte ich Aspekte, die für mich wichtig waren. Mittlerweile habe ich das Kopftuch aus überwiegend gesundheitlichen Gründen abgelegt.
Durch eine gynäkologische Operation bin ich zusätzlich von der religiösen Pflicht dazu entbunden.
Durch eine respektvolle Haltung und immer währende Gesprächsbereitschaft hoffe ich zur Lösung einiger Probleme und Missverständnisse in der europäischen Gesellschaft beitragen zu können. Interessierten Menschen, Presse und Politik stelle ich deshalb diese persönlichen Informationen zur Verfügung.
Ich finde es spannend, im Umgang mit anderen Meinungen meine persönlichen Limits auszuloten, was für mich interreligiösen Dialog führen bedeutet. Außer meinem Familienleben und dem Gärtnerinnendasein ist die Pflege dieses Dialogs mir Herzensangelegenheit.
Praxis des interreligiösen Dialogs:
In Frauenprojekten fühlte ich mich nach einigen schlechten Erfahrungen erst mal sicherer, da ich bei einigen Herren ab 50 öfter erleben musste, dass sie mir praktizierenden Muslima als Nichtmuslime den Islam erklären wollten.
Ein großes Interesse daran, wie andere Menschen und Kulturen glauben und leben, hatte ich schon immer.
Nachdem ich zum Islam konvertierte, stand ich vorerst in einem zumeist sehr unzufriedenstellenden Dialog mit Familienangehörigen und Freunden. Innerlich war ich sicher, dass der Islam meine Religion ist. Stellung beziehen, war mir aufgrund meiner Anfängerkenntnisse nicht wirkungsvoll möglich. Immer wieder störte mich, dass ich mit Sachständen in Verbindung gebracht wurde, die ich als menschengemachteVerunstaltungen muslimischer Glaubenspraxis bezeichne, da sie meist auf regionalen vor-muslimischen Traditionen beruhen.
Islamophobe Angriffe fielen mir gegenüber, trotz Kopftuch, durch helle Augen-und Hautfarbe, sprachlicher Kompetenz und selbstbewussten Auftretens wahrscheinlich schwächer aus, als gegenüber Glaubensschwestern mit Migrationshintergrund.
Der 11. September 2001 war für mich als friedensliebende Frau ein Schock, der mir letztendlich den persönlicher Anstoß verlieh, in den interreligiösen Dialog zu treten. Hier hoffe ich, meine persönlichen inneren Erfahrungen mit Christentum und Islam zu geistigem Brückenbau und Friedensarbeit einsetzen zu können.
Ich wünsche mir, dass die Menschen unserer medienzugewandten Gesellschaft mich als Muslima mit individuellen Glaubensschwerpunkten sehen. Ich habe gelernt, dass alle Menschen, egal welcher Religion oder Nichtreligion ihre unterschiedlichen Glaubensschwerpunkte habe. Sie gehören somit zwar größeren Gruppen an, doch ich werfe sie dennoch nicht alle in einen Topf. Ich wünsche mir deshalb besonders, bitte ebenfalls nicht in eine Schublade mit Salafisten, Wahabiten,Talibans oder sonstigen Ultras gesteckt zu werden. Denn diese Leute sehen mich bestimmt nicht als ihre Glaubensschwester und ich möchte sie auch nicht als meine direkten Geschwister sehen, auch wenn uns die Schahada (das Glaubensbekenntniss) im weitesten Sinne verbindet.
Darüber hinaus bedeutet interreligiöser Dialog für mich die Möglichkeit, mich selbst und den eigenen Glauben noch näher kennenzulernen, zu hinterfragen, letztendlich größeres Wissen zu erlangen, dem eigenen Kern und Gott näher zukommen.
2002 Teilnahme an monatlichen Dialog-Treffen mit dem Kirchenkreis Lankwitz und Moschee Ullsteinstraße
Im Ramadan Beitritt zum Verein inssan, Kennenlernen von Dr. Gerdien Jonker und Dr. Ernst Pulsfort
2003 1. Frauen-Dialog-Workshop in Haus Kreissau ( Erlernen von Strategien zum erfolgreichen Dialog nach Martina Hartkemeyer, dortiges Kennenlernen vieler Frauen, aus denen sich die IreNe- Gruppe bildete.)
Beginn der Teilnahme am Projekt Sarah-Hagar, erste Kontakte zu Frauen mit jüdischem
Hintergrund ( ÜPFI Überparteiliche Fraueninitiative, Gerti Nützel, Elisa Klapheck)
Teilnahme am 1. Ökumenischen Kirchentag in Berlin mit dem Verein inssan
Besuch des EPIL-Moduls in Berlin (European project for interreligious learning)
Besuche von Veranstaltungen der katholischen und evangelischen Akademie
Drehtermin für RBB Kirchplatz zum Beitrag Mohammeds Töchter von Susanne Heim
2004 Mitorganisation und Sprecherin bei einer Demonstration gegen das Kopftuchverbot (IBMus)
Abschluss des Projektes Sarah-Hagar, geleitet von Nane Klingsor, Irene Pabst,Carola v. Braun
Mitglied des Vertrauenskreises (gegründet von Ernst Pulsfort,Kath. Akademie und Yunis Qandil)
Teilnahme am Frauen Workshop Diversität und Identität in Al Andalus(Rollenspiel) der Heinrich Böll-Stiftung mit Aliyeh Yegane und Uta Kirchner
Teilnahme an einer Tagung zur Projektarbeit gegen Antisemitismus der Antonio-Amadeo-Stiftung
Übergang der Vertrauensgruppe in Projekt Kamingespräche mit Dr. Gerdien Jonker und Prof. Dr. Werner Schiffauer (Europa-Universität Viadrina/ Katholische Akademie)
2005 Teilnahme an der Evaluierung der Kamingespräche und der Gründung eines erweiterten Vertrauenskreises mit weiteren Treffen in der Kath. Akademie u.a. mit Dido Rogatz
Drehtermin für Portrait im ZDF Religionsmagazin Sonntags mit Dr. Alexander Görlach
Teilnahmean der Planungsgruppe zum Projekt Abrahams Garten mit Pfarrer Heinz Meixner, das
traurigerweise bald an der Finanzierung scheiterte
Letztes gemeinsames Fastenbrechen in der Kath. Akademie mit Dr. Ernst Pulsfort und Dr. Gerdien Jonker, da leider beide die Akademie verließen
Beginn der ehrenamtlichen Arbeit im interkulturellen Wuhlegarten mit der Anlage des interreligiösen Kräutergartens
2006 Wie in allen vorhergehenden Jahren regelmäßige Treffen mit den Frauen der IreNe-Gruppe,
Weiterarbeit am interreligiösen Kräutergarten, ansonsten Babypause
2007 Vortrag in der Katholischen Akademie in der Reihe Juden- Christen- Muslime über das Kopftuch,
Kräutergarten, IreNe-Gruppe, Babypause
2008 Konzeption des Partnerschafts-Projekts Herzenskräuter im interreligiösen Kräutergarten,
in diesem Rahmen feierliche Weinstockpflanzung mit Magdalena Möbius (ökumenisches Frauenzentrum Evas Arche) und dem
ÖFCFE (Ökumenischen Forum christlicher Frauen in Europa)
2009
Magdalena Möbius und Elisabeth Diekershof leiteten mit mir die Workshops "Beten und Arbeiten", in Kooperation mit Evas Arche.
Offizielle Einweihnungs-und Segensfeier für den Interreligiösen Kräutergarten am 11. Oktober mit Kantorin Jalda Rebling, Magdalena Möbius und Koranrezitatorin Mariam Amer.
Allen InitiatorInnen und TeilnehmerInnen von (evtl. aus Platzgründenleider nicht) genannten Dialog-Veranstaltungen, Workshops und Interviews möchte ich hiermit herzlich danken. Von und mit Euch habe ich viel gelernt, neue Freundschaften geschlossen, schöne Stunden geteilt. Vielleicht können wir dieser Welt mit unseren gemeinsamen Bemühungen (und Gottes Gnade) ein bisschen Segen bringen.